MIBNIGHT Jazzfestival 2009

 

Die fröhliche Dialektik von Stand- und Spielbein gehört zu den Grundbedingungen des Jazz. Das war im Leben des Kornettisten Bix Beiderbecke schon so – und es wird auch im Leben eines zukünftigen Cellotalents so sein. Stand- und Spielbein meinen aber nicht allein Thema und Improvisation, nicht nur Materialbeherrschung und musikalisches Neuland, nicht bloß Tradition und Gegenwart. Wer mit beiden Beinen auf gutem Grund steht, hat einen – handfesten – Standortvorteil: Denn die programmatische Dichte und die internationalen Besuche eines Festivals wie MIBNIGHT wären nicht möglich ohne eine gestandene Verankerung in der Stadt. Ohne Szenen und Menschen und Räume. Herzlich willkommen also zum diesjährigen Spielbein der Musikerinitiative Bremen! 

 

Aktualisierungen: Wo wäre die Gegenwart traditionellen Materials greifbarer, als wenn „die da auf der Bühne“ jünger sind als man selbst? Nach der MIB-Workshopband im vergangenen Jahr eröffnet die reichlich gereiste und ausgezeichnete JazzAG des Kippenberg-Gymnasiums das Festival 2009. Ihre frischen Modern-Jazz-Adaptionen legen die Fährte für den Donnerstagabend. Mit dem Frankfurt Jazz Trio und dem Günther Späth-Quartett folgen zwei Formationen, die über lange Zeit Zusammenspielerfahrung angereichert haben. Und die diese solide Basis nutzen, um eigene und eigensinnige Breschen zu schlagen in die Jazzgeschichte zwischen Swingsound und HardBop-Schliff. 

 

Überschreitungen: Niemand glaubt mehr an die Einfriedungen des Jazz-Areals. Als Hilfslinien tragen die Formationen am Freitag gleichwohl Grenzen in ihre Konzepte ein – um sie zu überschreiten. Mit einem beherzten Griff in die Punkkiste wie das stilwechselwillige Hamburger Capri Di Rote Quartett, mit kompromisslosem Willen zur Anschaubarkeit wie die Instrumentenkundler KLANK und Ben Gwilliam oder mit freier Sicht auf die konzentrierte Formforschung bei Philipp, Leimgruber und Gerold. Als eines von zahlreichen Festival-Ensembles hat Philip Van Enderts Trio dem Standbein der Gemeinschaftserfahrung ein Spielbein hinzugesellt: Den klaren Saxophonsound des vormaligen Miles-Davis-Sideman Rick Margitza. Dieses Quartett konnte dank freundlicher Unterstützung des Freundes- und Förderkreises des Jazz in Bremen e.V. verpflichtet werden. 

 

Stimmführungen: Selbst dort, wo am Sonnabend nicht gesungen wird, geht es um das Zusammenspiel von Stimme und hintergründigem Klangnetzwerk. Hallt in der sehr gegenwärtigen Liebe zum Vergangenen, wie Haunted By The Blues sie zelebriert, nicht die Frühgeschichte des Genres nach? Überzeugt der Kontrabassist Jonathan Robinson nicht sogar in seinem eigenen Quintett gerade durch elegantes Mannschaftsspiel? Mit der Sängerin Hanna Jursch, deren Brückenschläge das Dirk Piezunka Quartett angenehm herausfordern, und den beiden Vokalistinnen des tanzbaren elektroakustischen Crossovers von Peak Magnifique, kommt die Stimme an diesem Abend auch im wörtlichen Sinn zu ihrem Recht.

 

In welcher Spielart auch immer – konzertanter Jazz lebt im und aus dem Moment. Trotzdem soll an dieser Stelle auch die dokumentarische Nachhaltigkeit gewürdigt werden: Dezenter Begleiter nicht nur des Jazz-Geschehens in Bremen ist seit Jahren der Fotograf Rolf Schöllkopf. Energetische Ansichten und überraschender Detailreichtum sind während des Festivals in der Fotoinstallation „Jazz-Impro-Pleasure“ zu sehen. Auch die Jazz-Redaktion von Radio Bremen setzt ihre freundliche Festivalbegleitung fort – und hält das MIBNIGHT-Programm akustisch fest. Nicht zuletzt braucht ein Festival auch einen Ort: Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kunst- und Künstlerhauses Schwankhalle sei herzlich gedankt.

 

MIBNIGHT RADIO 2009
Moderation: Tim Schomacker
Gäste: Julian Fischer, Ben Gwilliam, Reinhart Hammerschmidt, Jörg Hochapfel,

Eckhard Petri
Musik und Gespräche zum MIBNIGHT Jazzfestival 2009
Die zweistündige Sendung können Sie unter folgendem Link hören >

 

Programmübersicht 

 

Do 29.10.2009, 20.00 Uhr
JazzAG des Kippenberg-Gymnasiums
Die Sieger des diesjährigen Bremer „Jugend jazzt“-Wettbewerbs wagen ungewohnte Zugänge zum modern-klassischen Jazz-Repertoire. Gemeinsam mit dem erfahrenen Bremer Saxophonisten Dirk Piezunka arrangiert und interagiert das junge Ensemble auf beachtlichem Niveau. Mit dem bereits hochdekorierten Gitarristen Julian Fischer gehört dieses vielversprechende LineUp zu den besten in der mittlerweile zwanzigjährigen Geschichte des Kippenberg-Jazz.


Philipp Kunz - trumpet
Lukas Karsten - saxophone
Alexander Studt - saxophone
Julian Fischer - guitar
Eike Blüthner - piano
Martin Recker - bass
Paul Wille - percussion
Nick Zacharias - drums
Dirk Piezunka
- conductor 

 

Do 29.10.2009, 21 Uhr
Frankfurt Jazz Trio
Ein Jahrzehnt schon blättert das transparente Trio aus der Main-Metropole beherzt durchs American Songbook. Stilvielfältig und mit luftiger Virtuosität nähern sich die drei Musiker gleichermaßen dem nostalgischen Swingsound, den Erneuererklängen von Earl Hines oder Ornette Coleman und aufmerksamen Eigenkompositionen. Ohne Substanzverlust springt das intime Trio zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her.


Olaf Polziehn (Freiberg) - piano
Martin Gjakonovski (Köln) - doublebass
Thomas Cremer (Frankfurt)
- drums 

 

Do 29.10.2009, 22.30 Uhr
Günther Späth Quartett
Für den lebendigen Umgang auch mit älterem Swing-, Latin- und HardBop-Material ist es „never too late“. So schrieb es der kraftvolle Bremer Jazz-Vierer aufs CD-Cover. Souveräne Coolness, hochkonzentrierter Ensemble-Klang und raffinierte Arrangements gewähren Altreisenden und Neuanhaltern spannende Einblicke in diverse Jazz-Galaxien. Mal voll harmonischer Wärme, mal inspirierend explosiv – mit  zwei gemeinsamen Dekaden übersetzt das Quartett viel Zusammenspielerfahrung in Konzertereignisse.


Eckard Petri - saxophone
Jens Schöwing - piano
Günther Späth - doublebass
Heinrich Hock - drums

 

Fr 30.10.2009, 20 Uhr
Capri Di Rote Quintett
Angesichts der surrealen Konstellationen, abrupten Richtungswechseln und stilistischen Unverfrorenheit der Hamburger Punkjazzer rieb sich die Fachpresse verwundert die Augen. Das geräuschvolle Amalgam aus diversen Genres und Gegenwarten lädt gleichermaßen zum entspannten Kopfnicken wie zum enthusiastischen Stirnrunzeln ein.


Gunnar Kockjoy (Hamburg) - trumpet, fluegelhorn
Sebastian Hoffmann (Hamburg) - trombone, euphonium, melodica
Jörg Hochapfel (Hamburg) - composition, piano, guitar, melodica
Oliver Karstens (Hamburg) - doublebass
Dirk Achim Dhonau (Hamburg) - drums, percussion, clarinet

 

Fr 30.10.2009, 21.30 Uhr
Van Endert – Margitza Quartett
Durch seine souveräne Arbeit an der Seite des späten Miles Davis avancierte der Tenorsaxophonist Rick Margitza vor 20 Jahren zum Shootingstar. Sein geschliffener und zugleich warmer Hornton geht eine entspannte Liaison ein mit dem sanft-satten Klang eines Gitarrentrios, das hier Lyrisches dezent andeuten und  gleich darauf feinste Harmoniegewebe kraftvoll untermauern kann.


Rick Margitza (USA) - saxophone
Philip van Endert (Düsseldorf) - guitars
Nico Brandenburg (Düsseldorf) - doublebass
Kurt Billker (Köln)
- drums

 

Fr 30.10.2009, 20.45 Uhr
KLANK & Ben Gwilliam
Inszenierte Musik: Das kleinteilige elektroakustische Equipment des britischen Sound Artists Ben Gwilliam verstärkt den Bremer Impro-Vierer bei seinen Erkundungen in klanglichen Grenzbereichen und raumbespannenden Geräuschen. Kompromisslose Klangerzeugung zum Zugucken.


Ben Gwilliam (England) - digital and analog devices
Christoph Ogiermann - violin, voice, stuff
Hainer Wörmann - e-guitar, stuff
Reinhart Hammerschmidt - doublebass, stuff
Tim Schomacker - percussion, voice, stuff

 

Fr 30.10.2009, 22.30 Uhr
Philipp – Leimgruber – Gerold
Drei Jahrzehnte europäische Free Music-Geschichte stehen bei dieser ungewöhnlichen Begegnung zweier Ateminstrumente mit einem Kontrabass auf der Bühne. Das schweizerisch-deutsche Trio improvisiert konzentrierte Erkundungen in den faszinierenden Randgebieten des klassischen Instrumentariums.


Urs Leimgruber (Luzern) - saxophones
Ulrich Philipp (Wiesbaden) - doublebass
Nils Gerold
- flute

 

Sa 31.10.2009, 20 Uhr
Haunted By The Blues & Dave Goodman
Gemeinsam mit dem Gitarristen Dave Goodman erkundet der Bremer Blues-Vierer die Fundamente des Genres, ohne dabei einen Hauch von Fundamentalismus zu versprühen. Für den weiten Weg, den die frühgeschichtlichen Töne bis in die Arrangements der freundlichen Polter- und Plagegeister nehmen müssen, werden sie durch souveränes Entstauben, liebevolle Politur und charmante Präsentation entschädigt – ganz gleich, ob in Klassiker, Fundstück oder Eigenkomposition.


Dave Goodman - guitar
Eckhard Petri - saxophones
Dietmar Kirstein - piano
David Jehn - doublebass
Stefan Ulrich
- drums

 

Sa 31.10.2009, 21.30 Uhr
Jonathan Robinson Quintett
Von Charlie Mingus’ notorischem Eigensinn über die partnerschaftliche Flexibilität der Impro-Legende Peter Kowald bis zur flapsigen Eleganz eines Stanley Clarke reichen die Bezugspunkte des Bassisten Jonathan Robinson. Stets stellt er Eindrücke und Ideen in den Ensembledienst. Für das sinnliche und sinnreiche Erkunden von Freiheit und Regelwerk hat er sein eingespieltes Trio hanseatisch erweitert.


Jan-Olaf Rodt - guitar
Ignaz Dinné (Berlin) - saxophone
Greg Burk (Italien) - piano
Jonathan Robinson (Berlin) - doublebass
John B. Arnold (Italien)
- drums

 

Sa 31.10.2009, 20.45 Uhr
Dirk Piezunka Quartett & Hanna Jursch
Im Minutentakt gelingen der Sängerin Hanna Jursch Brückenschläge zwischen Epochen, Stilen und Gefühlslagen. Verlässlich getragen von der weitsichtigen akustischen Akkuratesse des Piezunka-Quartetts, tänzelt die ausdrucksstarke Stimme der Romy-Cameron-Schülerin elegant auf den Grenzen zwischen Jazz, Gospel und Pop.


Hanna Jursch (Hannover) - vocals
Dirk Piezunka - saxophone
Martin Flindt (Varel) - guitar
Michael Gudenkauf (Hannover) - doublebass
Christian Schönefeldt (Oldenburg)
- drums

 

Sa 31.10.2009, 22.30 Uhr
Peak Magnifique
Faszinierende wie überraschende Höhepunkte produziert dieses Sparten, Kulturen und Generationen übergreifende Sextett. In fröhlicher Eintracht begegnen sich in den hochgetakteten harmonischen Netzwerken von Peak Magnifique elektroakustische Tanzbarkeit und wandernde Sounds, soulige Lyrismen und reimversessene Slampoesie. Kongenial in Szene gesetzt vom Visual Artist Andreas Aussem.


Uta Celik - voice, poetry
Hannah Rogler - vocals
Ivan Timoshenko - guitar
Ilker Yilmaz - electronics
Reinhard Schiemann - drums
Andreas Aussem - visual art