Zehn Jahre MIB IMPROVISATIONEN
"Wiesbaden, Köln und Münster haben sie auch, das große Hamburg dagegen besitzt nichts Vergleichbares. In Bremen gibt es seit 10 Jahren bei
der Musikerinitiative eine Reihe für Freie Improvisierte Musik, schlicht IMPROVISATIONEN genannt. Während also Hamburger wenig von aktuellen experimentellen musikalischen Entwicklungen erfahren,
und damit sind Entwicklungen gemeint, die – auf längere Sicht betrachtet – ausstrahlen oder, um in der Jahreszeit zu bleiben, Pollen fliegen lassen, die sich irgendwo anders befruchtend
festsetzen, haben Bremer seit einer Dekade die Chance dazu.
Die IMPROVISATIONEN sind in jeder Hinsicht klein: Kleiner Etat, kleiner Saal, kleines
Organisatoren-Team, überschaubares Publikum. Umso erstaunlicher ist, was die Reihe in diesen zehn Jahren geleistet hat: Zum einen hat sie einige der großen, hinlänglich bekannten,
improvisierenden Musiker wie Gunter Hampel, Steve Lacy, Hans Reichel, Roger Turner in die Stadt gelockt (als nächstes wird am 20. Juni der alte "AMM"-Haudegen und -Gitarrist Keith Rowe hier
auftreten), zum anderen waren hier entschiedene Entdeckungen zu machen. Um auch nur einige Namen zu nennen: der Plattenspieler-Spieler Claus van Bebber, der verblüffende Trompeten- und
Schlauchbläser Rajesh Metha oder zuletzt Ende vorigen Jahres das hervorragende Duo Gottschalk & Jacquemyn.
Konzept der Reihe ist dabei die Begegnung: Die Gäste stellen sich in einem ersten Set vor, im zweiten treffen sie auf Musiker aus Bremen und umzu. Diese Konfrontation schult alle Beteiligten,
führt zu einer feinnervigen Abstimmung von Reaktion und Aktion und zum genauen Hören und Hinhören, auch mit dem Ergebnis, dass manche der Begegnungen nicht funktioniert haben, das schließlich
liegt in der Natur der Sache. Langfristig hat dieses Konzept noch etwas anderes befördert, nämlich ein informelles Netzwerk, das die Bundesrepublik überspannt, aber bis nach England reicht."
Christian Emigholz, Weserkurier, 19.5.2000
Die großen Effekte mit den kleinen Affekten
A CUTE MUSIC: Zweitägiges Festival der Improvisationen bei der Musiker-Initiative Bremen
"Einhundert Konzerte in dreizehn Jahren, zusätzlich zwei Festivals (das aktuelle einbezogen,
drei), außerdem seit Jahren die erhebliche Beteiligung an den Festivals der Musikerinitiative MIB – das muss der Reihe IMPROVISATIONEN
erst einmal jemand nachmachen! Trotz eines Mini-Etats haben die Organisatoren mit großer Beharrlichkeit an ihrem Gedanken festgehalten, die aktuellen
Entwicklungen improvisierter Musik abzubilden, spannende Musiker in die Stadt zu locken, denen sie nur selten erheblich mehr als das sprichwörtliche Butterbrot samt Strohlager als Gage anbieten
konnten.
Insgesamt 186 Musikerinnen und Musiker aus 16 Ländern sind seit 1990 Gast der IMPROVISATIONEN gewesen.
In anderen Sparten würde bei einer derartigen Konstanz, Konsequenz und Kooperationsfähigkeit längst von einem Musterprojekt geredet, Bremens Kulturbehörde sah sich nicht einmal in der Lage, diese
100. Ausgabe, die die Reihe jetzt an zwei Tagen gefeiert hat, mit einem kleinen Zuschuss zu versehen. Ist improvisierte Musik zu randständig, zu unbedeutend, zu eklektizistisch?
Im Übrigen bergen diese Fragen einen Vorwurf, der zuvor schon dem Jazz gegolten hat, immer wieder auch der neuen Musik gemacht wird. Eben in diesem Kontext hat sich von allem Anfang auch die
Freie Improvisation bewegt, deren Herkunft aus dem Jazz via Free Jazz nicht zu leugnen ist, die sich aber inzwischen weit eher in gedanklicher Nähe zu den Komponisten der Avantgarde befindet. Die
Phase des „Kaputtspielens” – durchaus zu ihrer Zeit ein notwendiger Ausdruck auf der Suche nach Freiheit – ist seit vielen, vielen Jahren vorbei, und auch die reine Klangforschung, die den Ton
ausklammerte, ist passé. Heute geht es um das akribische Ausloten von Klangräumen ohne Verdikte, um Intensität und Empfindung, erprobt in kleinen Dialogen und im großen Kollektiv.
Unter diesem Gedanken stand denn auch das A CUTE MUSIC-Festival bei der MIB im Buntentor. Der Name spielt natürlich mit Doppeldeutigkeiten: „clever” und „niedlich'' kann „cute” meinen, der
Hintersinn des „Akuten” schwingt aber immer mit." Christian Emigholz, Weserkurier,
3.11.2003